" Feige Konformisten seid Ihr. Langweiler." - Meinung zum Text "Eine Rede an die Abiturienten des Jahrgangs 2004"
Vorbemerkung: Raoul Schrott Liebe Abiturienten, viel halte ich nicht von Euch. Und beneide Euch auch nicht. Wenn ich nach einem Schlagwort suchen müßte, um Eure Generation auf einen Nenner zu bringen, würde ich Euch Konformisten schimpfen. Ein paar Jahre älter, und ich sehe Euch scon vollkommen eingegliedert in diese neue Gesellschaftsschict, die einem überall in den deutschen Fußgängerzonen begegnet: Gel im Haar, Sonnenbrillen auch im Winter, ledrig braun vom wöchentlichen Solarium, Silikonsäcke in der Brust der Frauen, die Männer hart am Waschbrettbauch arbeitend, aber allesamt geistige Bügelbretter. Metrosexuelle in der Nachfolge von in die Jahre gekommenen Yuppies und Singles, androgyn zwischen Anämie und Bulimie, nur den Job im Kopf, den nächen all-inclusive-Urlaub, Ameriak als Traumziel, kulturell zwischen Hollywood und Viva, Schamrasur und PayTV als Kick, Naturschutz als Konfessionsbekenntnis und die politische Haltung von reinen Konsumenten. [...] Nichts Schlimmeres gibt es für Euch als Langeweile. Und nicht Tabuisierteres als das, was in die Tiefe geht: Tod; Gewalt; Gefühle, sobald sie pathetisch werden; sogar Humor, wenn er abgründig wird. Statt dessen habt Ihr einen untrüglichen Sinn für das entwickelt, was zeitgeistig ist. Welche Themen diskutierbar, welche Vokabeln zulässig sind und welche nicht. Damit aber habt Ihr auch Eure freiwillige Unmündigkeit erklärt. Wenn ich Euch reden höre, ist das, worüber Ihr euch definiert Kleidung und Musik. Ja, ich beneide Euch nicht. Und wenn ich wenig von Euch halte, dann weil Ihr keinen Gebrauch macht vom Vorrecht der Jugend, alles in Frage zu stellen. Es zu müssen, weil man bei diesem Erwachsenwerden doch alles beinahe zwangsläufig hinterfragt, bevor man es sich zu eigen macht, erst in der Konfrontation mit den Dingen zu sich findet. Denn jede Generation erfindet sich ihre Welt von neuem. Wo aber ist Euer Sturm und Drang? Wo das Bilderstürmende und Denkmalstürzende? Wo das Anarchische und Idealistische der Pubertät? Feige Konformisten seid Ihr. Langweiler. Nein, es geht nicht darum, Revolutionen anzuzetteln, obwohl das eine gute Übung wäre. Sondern um das, was die Franzosen état d'esprit¹ nennen. Bei euch müßte man ihn umdrehen: Ihr habt nicht als einen esprit d'Etat². Staatsbürgerlich verbeamtete Gesinnungen statt einer individuellen Geisteshaltung. [...] |
Dieser Text wurde in dieser gekürzten Fassung entweder im Fachabitur oder im Allgemeinen Abitur der FOS/BOS in Bayern in einem der letzten Jahre behandelt.
Ich halte diese Rede für sehr lesenswert, da sie einen direkten Vorwurf an unsere Generation darstellt. Zwar ist die Rede an Abiturienten gerichtet, trotzdem glaube ich, dass Raoul Schrott diese Aussagen auch auf die allgemeine Jugend beziehen würde.
Der erste Gedanke der mir kam, fühle ich mich angesprochen? Bin Ich auch Teil dieser Generation oder bin vielleicht Ich die Ausnahme der Regel. Diese Frage sollte wohl jeder für sich selbst beantworten, der Gedanke ist aber interessant für jeden. Suchen wir tatsächlich die ständige Beschäftigung ohne in der Lage zu sein, eine Pause einzulegen, Platz für Gefühle zu lassen? Ich glaube schon, jedoch handelt es sich hier wohl nicht um ein Problem der Jugend, sondern der Gesellschaft als solche. Emotionen und Gefühle dürfen sich nur in standardisierten Grenzen bewegen und werden auch so ausgelebt, wer aus diesem Schema ausbricht wird nicht verstanden.
Definiert sich die heutige Jugend über Kleidung und Musik? Gerade bei der Mode ist diese Entwicklung zu beobachten. Dies führt zu einer fast schon ätzenden Oberflächlichkeit was den Umgang untereinander betrifft. Trotz allem ist es für eine Jugendkultur wichtig sich über Musik und Kleidung zu definieren, gerade um sich aus dem Konformismus der Gesellschaft zu lösen. Doch gerade die Mode wurde von der Industrie dermaßen vereinnahmt, dass es kaum noch möglich scheint eine Einstellung über die Kleidung zu repräsentieren. Jede modische Neuorientierung wird von der Modeindustrie absorbiert und gnadenlos vermarktet, bis zur Farce seiner selbst. Ob die alleinige Schuld an dieser Entwicklung die heutigen Generation trifft, ist zu bezweifeln.
Bei der Musik muss man der Rede jedoch widersprechen. Sind wir wirklich eine Generation die Musik feiert, "[...]zum Abtanzen in ein besinnungsloses Nirwana"? Teilweise wohl schon, anders sind Hits wie 3 Tage Wach und Konsorten wohl nicht zu erklären. Jedoch sind die angesprochenen Texte von früher, "[...]die sich am Kritischen und am Poetischen maßen" durchaus vorhanden. Gerade die HipHop-Kultur ist meiner Meinung nach DIE zeitgenössischen Lyrik. Wer sich auch nur oberflächlich mit Rap beschäftigt stößt sofort auf sozialkritische, visionäre, anprangernde und emotionale Texte und Lieder. Künstler wie Curse, Nas, Common sind hier nur die offensichtlichsten Beispiele. Dies gilt im übrigen nicht nur für Rap, auch in anderen Musikrichtungen findet man derartige Ansätze. Tatsächlich hat Rap sogar noch größeres Potential als frühere Musikrichtungen, Botschaften zu vermitteln und Träger einer Aufbruchsstimmung zu sein. Dass diese qualitative Musik nicht die Aufmerksamkeit der breiten Masse findet ist wohl das eigentliche Problem dieser Generation.
Und genau hier schließt sich der Kreis. Jeder, der sich über die öffentlich anerkannten Grenzen hinaus bewegt und versucht an der Oberfläche zu kratzen (hier mit der Musik) wird automatisch ausgegrenzt. Das ist keine bewusste Reaktion, sondern für mich eher das Zeichen einer unbewussten Angst dieser Generation die emotionale Starre dieser Zeit aufzubrechen. Genau das ist auch der Grund, warum sich Menschen in das Fernsehen und seine schwachsinnigen Formate bzw. das Internet flüchten. (Dieser Satz ist durchaus auch als Selbstkritik zu verstehen). Wer traut sich heutzutage noch Flugblätter zu drucken und diese in der Stadt zu verteilen? Wer engagiert sich noch politisch oder für die Gesellschaft? Gibt es überhaupt noch ein allgemeines Interesse am täglichen Geschehen, außerhalb des eigenen Horizonts? Jede Generation trägt das Potential, neue Ideen zu verwirklichen. Die heutige ist einfach nur betäubt. Und das ist das eigentliche Problem.
-heiligeremilius
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite